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Ich studierte die Schmiererei an meinen Fensterscheiben und überlegte mir ernsthaft eine Sekunde oder zwei, ob ich vielleicht die Fenster putzen sollte. Doch dann drückte Gott sei Dank die Sonne durch. Und bei Sonnenschein putze nie die Fenster! Weiss ja jedes Kind. Nur ich wusste diese eiserne Regel leider noch nicht, als ich vor zwei Jahren das letzte Mal meine Scheiben putzte. Seither sind sie verschmiert wie blöd. Doch wie lange werde ich wohl noch in dieser Wohnung leben? Ein Jahr, vielleicht zwei. Da lohnt es sich ja echt nicht mehr, die Schmiererei noch zu beseitigen. Also ging ich in den Starbucks. Ich frage mich, ob der Notenschnitt an den Schulen gestiegen ist, seit es Starbucks gibt. Denn plötzlich ist Lernen grausam trendy. «Weisch, mer hänges grad em Starbucks ond send chli am lerne!» Früher wäre man als Streber gekreuzigt worden, heute ist man grausam cool damit! Vielleicht sind auch einfach nur die Kindergeburten gestiegen, weil man eigentlich gar nicht lernen geht, sondern bloss mit der geilen Streberin im Sessel gegenüber flirten will. Gilt natürlich nicht für mich, ich wollte bloss mal wieder lesen, ohne bei jedem Kopfheben mit dem Dreck in meiner Wohnung konfrontiert zu werden. Ich sass also gemütlich im Starbucks. Übliches Publikum. Frauen in Leggings und Stiefeln, die entweder lesen oder auf ihren Freund warten. Frauen in knallengen Jeans und Sneakers, die über Kolleginnen lästern und pro Minute dreimal ihr Handy checken. Der Nerd in verwaschenen Jeans, der einen Film auf seinem Acer-Laptop schaut und dabei immer eine Spur zu laut und zu unkontrolliert auflacht. Des Weiteren der gutfrisierte, betont leger gekleidete Typ in Leder-Converse, der auf seinem Apple-Notebook irgendeine Master-, Liz- oder Semester-Arbeit töggelt. Und dann – natürlich – die Frau mit absichtlich hässlicher Brille. So eine gibt’s immer! Ganz egal, ob im Starbucks oder in Grosis Tea Room, eine Frau mit betont hässlicher Brille sitzt immer da. Egal, ob am Morgen oder nach Mitternacht. Immer. Denn es ist zur Zeit grausam en vogue: «Hey schaut, ich trage eine hässliche Brille, ich bin dammi anti-cool!» Zumindest bist du unglaublich ehrgeizig, da man wahrlich sehr weit zurückgehen muss mit der Zeitmaschine, um eine derart hässliche Brille auszugraben. Diese Brillen sind so hässlich, dagegen sah Haider nach seinem Autounfall aus wie frisch geduscht! Frauen mit absichtlich hässlichen Brillen machen mich aggressiv. Und es gibt nur wenige Situationen, in denen ich ausrasten könnte. Wenn ich Neonazis sehe vielleicht. Oder wenn das Zürcher S-Bahn-Netz wegen zwei Zentimeter Neuschnee kollabiert. Wenn Toni Brunner nach gewonnener Abstimmung so fröhlich grinst. Oder wenn mich zwei halbtote Wachturm-Missionare am Samstag Morgen um neun Uhr aus dem Bett klingeln. Ja, dann raste ich aus. Nur dann. Und eben, wenn Frauen mit voller Absicht hässliche Brillen tragen. Besucht doch einen Sprachkurs für Hindustani oder kocht nur noch nach alt-mikronesischer Art, wenn ihr individuell sein wollt. Das macht sonst ja auch keine Sau und ihr quält damit zumindest nicht meine Netzhaut. Vermutlich behalten sie diese Brillen sogar beim Sex auf und beharren auf Stellungen, die ihre individuelle, herausragende Position in der Gesellschaft nicht kompromittieren. Vielleicht gehen sie auch ab wie Gina Wild, wer weiss.



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