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Kürzlich hörte ich meine ehemalige Dozentin am Radio. Ich hielt kurz inne und dachte an die vielleicht hektischste Zeit meines Lebens zurück. Die schriftliche Diplomarbeit raubte mir sowohl Schlaf wie auch die letzten Nerven, alles drohte den Bach runter zu gehen. In dieser schwappenden Suppe voller Ungemach war sie der Fels in der Brandung, quasi der Moses, der für mich das Unheil teilte und mir einen Weg aufzeigte. Meine Dozentin! Irgendwie ähnlich mag Scarlett Johansson über Bill Murray denken, wenn sie sich an Tokyo erinnert. Natürlich, bei uns ging es noch weniger um Zärtlichkeiten, unsere Verbindung war ausschliesslich geistiger Natur. Die Telefonleitung stellte stets die gebotene Distanz sicher, während wir uns die Nächte um die Ohren schlugen. Ich am einen Ende schreibend, sie am andern Ende beratend und unterstützend. Ohne diese Hilfe wäre ich ersoffen, das steht ausser Frage. Ich hatte spät zu schreiben begonnen, der Zug rollte bereits aus dem Bahnhof und drohte mir zu entwischen. Ich rannte was das Zeug hielt und tippte Seite um Seite. Meine Dozentin bekam stets die neusten Ergüsse zu Gesicht und was ich daraufhin an Feedback zurückbekam, schwingt heute noch wohlklingend in meinen Ohren nach. Begeistert sei sie, meine Arbeit schlicht saugut! Ja, saugut sagte sie. Darüber hinaus sagte sie noch viel mehr, doch dies hier wiederzugeben, würde meine natürliche Bescheidenheit bei weitem übersteigen. So lächelte mir an diesen Tagen stets ein kleiner Genius entgegen, wann immer ich vor den Spiegel trat. «Läck», sagte ich zu meinem Spiegelbild, «du bist echt sackgut!» Dazu setzte ich ein Berlusconi-Grinsen auf, dass mein goldener Eckzahn funkelte. Ein Genie war geboren, die Raupe verwandelte sich gerade in den grössten und schönsten Zitronenfalter aller Zeiten! Ich war überzeugt, mein Name würde mal im gleichen Atemzug wie Walter Benjamin, Roland Barthes, Foucault, Derridas oder Susan Sontag genannt werden. Und fragte man einen Extremtaucher mit extremer Lunge, dann würde diese Aufzählung erst bei Aristoteles enden! (Vorausgesetzt natürlich, in seinem Hirn ist weniger Luft als in seiner Lunge.) Professoren würden meinen Namen an die Tafel kreiden und doppelt unterstreichen. Generationen von Schülern und Studentinnen würden über meinen Schriften brüten, würden meine wichtigsten Sätze gelb markieren, würden fluchen und jammern, da sie meinen bahnbrecherischen, dafür hochkomplexen Theorien und Thesen vielleicht hie und da nicht ganz gewachsen waren. Dissertationen würden verfasst werden, Vorträge gehalten, Statuen errichtet und Schulen nach mir benannt. Die Zukunft, es bestand kein Zweifel, gehörte mir!

Sechs Monate zogen ins Land, dann bekam besagter Student Post. Eingeschrieben! Ich freute mich auf meinen Lottogewinn, der mich gänzlich unverhofft erreichte. Nicht einmal einen Lottoschein ausgefüllt hatte ich! Dieses Kunststück gelingt wahrlich nur den allergrössten Glückspilzen! Als ich dann aber den unverkennbaren gelben Farbbalken unserer Fachhochschule auf dem Couvert erblickte, sah ich meinen knallroten Ferrari entschwinden, wie Massa seinen Weltmeistertitel. Endlich also mein Zeugnis! Auch ganz nett. Nun kommet in meine Arme, oh holde Botschaft! Die Spannung war nicht zu ertragen, ich riss den Umschlag noch unterwegs auf der Strasse auf. Hier waren sie, meine Noten, süsse kleine Noten, als wären's meine eignen Kinderlein! Ich begann zu lesen. Praktischer Teil: och, ganz nett! Mündlicher Teil: sehr schön! Theoretischer Teil: Druckfehler! Ich kicherte amüsiert vor mich hin, ein Druckfehler im Zeugnis! Na gibt's denn so was? Ich war noch am Kichern, als ich die ausführliche Bewertung überflog. Ich kicherte immer noch, zumindest für den Bruchteil einer letzten Sekunde. Dann war's passiert: Das Kichern hatte aufgehört. Dramatische Pause. Zugegeben, ich war ziemlich überrascht. Etwa so, wie wenn Papst Josef Ratzinger mit 81 Jahren bemerken würde, dass er eigentlich eine Frau ist und schon immer war. Duschte mich vor einem halben Jahr die Telefonmuschel noch allabendlich mit Lobgesang, so las ich nun Sätze wie: «Die Einleitung ist schlicht unverständlich.» Oder: «Kapitel 2 ist nur unter grosser Anstrengung lesbar.» Aus dem Zitronenfalter und den Statuen wird jetzt wohl nichts. Viel eher fühlte ich mich wie eine Raupe noch vor ihrer Verwandlung. Gefressen und wieder rausgekotzt von Nachbars Fido.

Die Geschichte, meine Damen und Herren, lehrt uns schmerzlich dies: Verlassen Sie sich nicht immer auf orale Versprechungen! Präzedenzfälle gibt es viele an der Zahl. Vater Bush zum Beispiel sagte zu den Kurden: «Meine Freunde, wagt den Aufstand, ich unterstütze euch!» Also verliessen sie sich darauf. Frau Widmer-Schlumpf sagte dem Ueli: «Nein nein, ich werde niemals die Wahl annehmen! Völlig ausgeschlossen!» Also verliess er sich darauf. Eine Dozentin sagte zu ihrem Studenten: «Deine Arbeit ist wirklich saugut!» Also verliess sich der Student auf diese Worte. Und wäre am Ende beinahe durchgerasselt. Schande, wir leben wahrlich in einer wüsten Welt!



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