Startseite

ArchivWer tippt?Kolumnen-Abo





(Diese Woche gibt’s wegen meiner langen Diplompause gleich eine Doppelnummer! Also los...)

Neulich im Fotofachgeschäft um die Mittagszeit. Ein gestresster, junger Mann (ich) betritt das Geschäft, während sich ein pensioniertes und offensichtlich NICHT gestresstes Ehepaar eine digitale Spiegelreflexkamera verkaufen lässt. Man sollte das ja eigentlich begrüssen: Obwohl bereits mit einem Bein im Grab, noch immer rege interessiert an der neusten Technik. Sehr schön! Also warte ich. Die Frau dreht mir kurz ihr Gesicht zu und lächelt. Ich lächle zurück, ich bin ja ein freundlicher, junger Mann. Ich bemerke ihre sportliche, junge Sonnenbrille. Sehr cool! Ich bin ein bisschen beeindruckt, ich gebe es zu. Und auch der Opa scheint mit der Zeit zu gehen: Pilotenbrille. Klar, die kann auch von seiner Militärzeit her stammen. Aber egal, Pilotenbrillen sind ja wieder grausam in! Ein cooles, altes Ehepaar, das ihre Lust an der Digitalfotografie entdeckt hat. Rührend! Man einigt sich schliesslich auf ein Modell für 1'800 Franken und zückt die Goldkarte. Doch wo eine gewöhnliche Kaufhandlung eigentlich endet, geht in diesem Fall das Theater erst richtig los. Der Mann bittet die Verkäuferin (die einzige im Laden... um die Mittagszeit!), für ihn den Tragriemen auszupacken, an die Kamera zu pappen und zu justieren. Um die Mittagszeit!! «Sehr gerne, der Herr!» Wie?? Was?? Geht’s noch??!! Na dann, der Bändel wird ein erstes Mal eingestellt, der gute Herr hängt sich die Kamera um seinen fetten Hals, «zu tief!», also nochmals von vorne! Habe ich erwähnt, dass ich ein bisschen im Stress war? Die Verkäuferin hantiert mühsam am Bändel rum, da höre ich die alte Kuh sagen: «Häi, ist grad ziemlich viel los im Geschäft, gälled Sie?» JAAAA GENAU!!! Die Frau dreht erneut ihren Kopf und lächelt. Ich lächle NICHT zurück. Doch mein Nicht-Lächeln spürt sie garantiert nicht. Ich fange genervt an, mit den Fingern auf dem Tresen rumzutrommeln. Dann schnaufe ich. Ich schaufe ein zweites Mal ganz laut und schliesslich schnaufe ich wie ein angina-geplagter Elefant. Hilft nichts! Ich schüttle den Kopf. Sehen die zwei auch nicht, die sind zu sehr mit ihrer neuen Kamera und dem Bändel beschäftigt. Der zweite Justierungs-Versuch glückt natürlich auch nicht. Ich glaube, die Kamera hing zu hoch. Dann denke ich an diese Box-Automaten, die es früher an jedem Jugendfest gab. Vielleicht gibt es die heute noch immer, doch ich war schon lange auf keinem Rummelplatz mehr. Ich versuche mich an meine Maximal-Leistung zu erinnern und frage mich, ob das wohl ausreichen würde, um die zwei Sonnenbrillen-Rentner K.O. zu schlagen. Huch, der Tragriemen passt! Die Kamera hängt perfekt! Uff! Doch dann: «Könnten Sie uns vielleicht die Kamera noch kurz erklären?» KANNST DU NICHT SELBER LESEN DU ALTER PISSER??!! Man nennt das Papier-Teil im Karton BEDIENUNGSANLEITUNG!!! Darin kann man nachlesen, wie man die Kamera B-E-D-I-E-N-E-N muss. Das haben ganz schlaue Leute für ganz dumme Leute geschrieben. Die Frau schaut wieder zu uns anderen, seit Ewigkeiten wartenden Kunden rüber. Ich schaue sie an und sage: «Ich hoffe, Osama hat noch eine Bombe übrig und kommt persönlich nach Aarau und sprengt sich mit Ihnen beiden in die Luft, so dass Ihre Milz bis nach Gösgen spritzt!» (Leider sage ich das nur in Gedanken. Doch ich bin sicher, ein sensibler Mensch hätte genau diese Worte von meiner Mine ablesen können.) Die Verkäuferin scheint aber mittlerweile doch nicht mehr jeden Rentner-Seich mitzumachen und begnügt sich mit dem Erklären der allerwenigsten Basic-Funktionen. DANKE!!!! (Zusammengestaucht habe ich sie später dennoch, aber das hatte andere Gründe... ja, es gab GUTE Gründe!) Das Rentnerpaar gibt sich zufrieden und lässt sich die Kamera wieder in den Karton packen. Die Frau, ganz redselig, erzählt nun der Verkäuferin von ihren Ferien. Sie waren zwei Wochen in Djerba, dort wurde ihnen die alte Digitalkamera gestohlen. Wie bitte? GESTOHLEN?? Ihre alte Digitalkamera wurde ihnen gemuckt und sie müssen jetzt 1'800 Franken umsonst berappen? Eintausendachthundert Franken??? Ich schaue aus dem Fenster des Fotofachgeschäfts, hinaus auf den tristen Betonplatz und da steht im Regen ein Engel, ihn umgibt ein strahlendes, gleissendes Licht. Er lächelt mich an und zwinkert mir zu. Da weiss ich: Es gibt doch noch ein bisschen Gerechtigkeit auf dieser Welt!



© 2008 tschyses.chRSS-Feed RSS Feed