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Fragt man mich nach meinem Lieblingsfilm, gerate ich immer kurzzeitig ins Schleudern. Etwa so wie ein Deux-Chevaux, der sich im Schneetreiben über den Gotthard wagt. Ich stellte mal eine Liste aller Filme zusammen, die ich grossartig finde (und welche mir in dem Moment grad in den Sinn kamen). Es waren genau 30, darunter «In the Bedroom», «The Station Agent», «Hotaru no haka» sowie 27 weitere Filme, die man vielleicht sogar kennt. Wenn ich heute diese Liste durchgehe, merke ich, dass «Top Gun» fehlt. Dabei hält dieser Film noch immer den alleinigen Rekord in der Kategorie «Am häufigsten gesehen». Klar, «Top Gun» ist Army-gesponserter Propaganda-Müll und sollte gegen all meine Prinzipien verstossen. Aber äch... Prinzipien! Sind das gleiche wie Kondome: So heilig wie die zehn Gebote (ausser aus Sicht der katholischen Kirche), wird dir von Anfang an eingetrichtert, nichts kann damit schief gehen, gut und sauber wie Kurt und Paola. Aber dennoch: Ohne ist’s einfach besser! Dasselbe gilt übrigens auch für Velo-Helme. Und darum ist «Top Gun» geil, basta! Und noch ein Film fehlt auf meiner 30er-Liste: Nicht die Mutter aller Filme, dafür der vielleicht beste Film aller Zeiten: «Chasing Amy»!

Grossartig, eine Offenbarung! Ich sass – zum etwa vierten Mal, der «Top Gun»-Rekord könnte bald ins Wanken geraten – wie hypnotisiert vor dem Fernseher. Hätte Gott in dem Moment zu mir gesprochen oder wäre gar leibhaftig vor mir erschienen, ich hätte müde mit der Wimper gezuckt, hätte meinen Zeigefinger gegen die Lippen gepresst, um ihn zum Schweigen zu bewegen und hätte wieder in den Fernseher gestarrt. Klar, auch «Chasing Amy» ist nicht perfekt, hat sogar einen ziemlich krassen Makel: Ben Affleck. Der Junge hat Glück, dass er mit dem durchschnittlichen Frauengeschmack ziemlich komfortabel übereinstimmt. Andernfalls hätte man ihn nach diesem Auftritt von jeder Provinz-Bühne verbannt. Aber «Chasing Amy» liefert den Beweis, dass gute Filme auch von schlechten Schauspielern nicht ruiniert werden können. Gleiches gilt für «Top Gun». Doch Tom Cruise hatte immerhin den Vorteil, dass er in Flieger-Overall, weisser Navy-Uniform und hach, seiner Fliegerbrille einfach sehr gelungen verpackt war. Doch was in aller Welt trägt Ben Affleck? Nach 41 Minuten schlägt er alle Negativ-Rekorde mit einem etwas zu weiten, weissen Woll-Pullover! Hübsch. Das Traurige ist nur, dass ich so ziemlich denselben auch mal hatte. Darin sieht man bestenfalls aus wie ein norwegischer Dichter, doch viel eher wie ein neufundländischer Krabben-Fischer. Und wir wollen nicht aussehen wie alkoholgetränkte Dichter und windgeschändete Fischer! Ein paar Szenen später bleibt mir das Lachen definitiv im Hals stecken. Ben trägt einen lila Pullover mit diesem besonderen Extra: Eine Naht definiert ein auf dem Kopf stehendes Dreieck – genau auf der Höhe des Brustbeins. Diesen modischen Gäg habe ich damals schon nicht verstanden, damals als ich genau denselben Pullover in senfgelb hatte! Und auch meine Jeans waren eine Spur zu hell und eine Spur zu unförmig. Scheisse, der Kerl hat meine Berghilfe-Kleidersammlungs-Säcke geklaut!

Und noch was erkenne ich an diesem Abend vor dem Fernseher schmerzhaft, doch dazu muss ich kurz ausholen: Ich bin ziemlich stolz auf drei Sätze, welche richtige Bonmots sind. Richtige Lebensweisheiten, herangezüchtet in 26 Jahren puren Lebens. Sonnengereift und regengetränkt – in idealer Abwechslung für richtig saftige Früchte. Doch ich wusste, eines dieser Bonmots ist geklaut, da es einem Film entspringt – «Frida» nämlich. Dieser eine Satz ist wie das Kuckuckskind, über das man aber von Anfang an Bescheid weiss. Ja, Alfred Molina zeugte es. Doch die andern beiden Sätze waren mein eigen Fleisch und Blut, diese Sätze hatte ICH erfunden. Der eine davon kommt jedoch nicht in jeder Gesellschaft gut an, wie ich erkennen musste, dennoch ist es der elegantere der beiden. Kurz, prägnant, eine Messerklinge unerschütterlicher Wahrheit durch naive, butterweiche heile Welt. Der zweite Satz ist nicht ganz so elegant, man kann ihn unmöglich in nur einem Atemzug zu Ende sprechen, man muss Pausen dazwischen einlegen, kann dafür aber ein paar schöne Gesten einstreuen. Dieser zweite Satz definiert meine liberale Geisteshaltung und ist unteilbar mit meiner Persönlichkeit verknüpft. Mein Lieblingskind, der Nachfolger meines Geschäfts (wenn ich denn ein Geschäft hätte), ganz der Papi, man muss ihn einfach gern haben! (Letzteres gilt natürlich nur für jene, die auch den Papi gern haben.) Doch dann dies: Ich sitze nichts ahnend vor dem Fernseher, Gott noch immer neben mir, wie er mit seinem Gelaber um meine Aufmerksamkeit buhlt, auf der Mattscheibe der beste Film aller Zeiten und dann dies: Joey Lauren Adams liegt im Bett neben Ben Affleck. Sie raucht. Er auch und selten sah Rauchen dämlicher aus als bei Herrn Affleck. Sie hört auf zu rauchen und säuselt mit sexy aufgerauter Whiskey- und Zigaretten-Stimme meinen Satz. Ja, meinen Satz! Und sieht dabei natürlich auch noch besser aus als ich, mit ihren spitzen, nackten Brüsten und der Zigarette zwischen ihren gespreizten Fingern. Mein Satz aus fremdem Mund! Mein Lieblingssohn, meine Identität, mein Fleisch und Blut. Endlich verstehe ich, wie schrecklich es sein muss, wenn man nach Jahren herausfindet, dass man nicht der Vater seines Kindes ist. Denn mindestens ebenso schrecklich ist es rauszufinden, dass man nur noch der Autor eines einzigen Bonmots ist. Zwei wunderschöne, tiefgründige Bonmots sind fremdgezeugt, mir bleibt nur noch der Rotzbengel, den man nicht in jeder Gesellschaft loslassen kann. Was als ruhiger DVD-Abend in trauter Umgebung gedacht war, endete in einer tiefen Identitätskrise. Will ich es das nächste Mal ein bisschen gemütlich haben, dann gehe ich eine Tankstelle überfallen.



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