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Ehrgeiz. Zusammengesetzt aus dem positiven Teil Ehre und seinem negativen Beigeschmack Geiz. Auch nach knapp 27 Jahren ist mir noch immer nicht ganz klar, wann dieses sonderbare Gefühl in mir geweckt wird und wann eben nicht. Im Augenblick sitze ich mit meiner alten Mathe-Formelsammlung aus meiner Kanti-Zeit am Tisch und frage mich, ob der systeminterne Taschenrechner meines Macs meinen Ansprüchen genügt. Vermutlich täte er dies tadellos, doch mein Mathwissen ist einfach eingerostet oder gänzlich abhanden gekommen. Ist ja auch 7 Jahre her. Häi nomol! Angefangen hat alles mit einem Flugzeug, das auf vermutlich normaler Reisehöhe von Osten nach Westen geflogen ist, während ich an meinem Falafel knabberte und zum Himmel hochblickte. Es hinterliess einen endlos langen Kondensstreifen, so dass dieser über die gesamte Länge des Himmels innerhalb meines Himmel-Sichtfeldes (vom Balkon aus betrachtet) reichte. Mathematik ist nicht nur reichlich kompliziert in den Berechnungen, man kann nicht mal unkompliziert darüber sprechen. Dieses Himmel-Sichtfeld wird im Osten und im Westen je von einer hohen Tanne begrenzt, dazwischen sehe ich den Himmel. Und diesen zierte heute Abend ein endlos langer Kondensstreifen. Während ich so auf meinen frittierten Kichererbsen-Bällchen rumkaute, fragte ich mich, wie lange wohl der Kondensstreifen dieses Flugzeuges ist und daraus leitete ich irrsinnig falsch, aber ein bisschen philosophisch die Frage ab: Wie viel Himmel sehe ich von meinem Balkon aus? Wäre Albert Einstein neben mir gesessen und hätte sich vielleicht an einem Dürüm gelabt, hätte er mir diese Frage ruckzuck beantworten können. Doch Albert war nicht zu Besuch, nicht mal einer meiner ehemaligen Mathelehrer und ausser der Nachbarskatze war niemand da, der oder die über einen grösseren IQ verfügte als meine Flip-Flops, also musste ich mit meinem eigenen IQ vorlieb nehmen. Ein wahrlich schwieriges Unterfangen! Und so sitze ich seit einer geschlagenen Stunde am Tisch mit der alten Formelsammlung vor mir und versuche, die Länge des Kondensstreifens zu ermitteln. Trigonometrie, ebenes Dreieck, Sinussatz, Cosinussatz, Ankathete, Gegenkathete, Hypotenuse und der ganze Quatsch, ich dachte, euch müsst ich nie wieder begegnen! Aber mein Ehrgeiz hat euch wachgerüttelt und nun seid ihr die Geister, die ich rief und nicht mehr zu bändigen vermag. Denn was mein Macintosh-Rechner ausspuckt, macht leider wenig Sinn. Meinen alten Kanti-Monster-Taschenrechner TI-85 auszugraben, erscheint mir doch leicht übertrieben. Würde an krankhaften Ehrgeiz grenzen, wie ich finde. (Weiss zudem nicht mal, ob ich das Ungetüm seinerzeit mit nach Aarau gezügelt habe.) Meiner ersten Berechnung zufolge war der Streifen 5 Kilometer lang. Bei einer geschätzten Flughöhe von 10 Kilometern und einem Winkel (nennen wir ihn mal Gamma) von zirka 100 Grad, welcher gegenüber des Kondensstreifen zu liegen kommt, lässt das unendlich viele Zweifel an der Richtigkeit meiner Berechnungen zu. Beim zweiten Versuch komme ich immerhin auf 13 Kilometer. Doch das komatöse Mathe-Genie in mir bemerkt, dass bei einem Winkel von über 90 Grad alles unter 14,14 Kilometern herzlich wenig Sinn macht. Bravo! Albert würde vielleicht ein winziges Quäntchen Hoffnung ausmachen. Winzig, aber existent! Nun gut, pragmatisch betrachtet – was mich zwar an einer Mathe-Prüfung auch nicht retten würde – ist der Kondensstreifen an diesem Mittwoch Abend irgendwas über 14 Kilometer lang, sagen wir mal 16! Oder so. Gehen wir nun weiter davon aus, dass es sich beim Flugzeug um eine Boeing 737-800 gehandelt hat (weil jede dritte Maschine, die von einem deutschen Flughafen aus startet, der Boeing 737er-Familie angehört... und was für Deutschland gilt, gilt vielleicht auch für unsern Luftraum...), so verrät uns Wikipedia, dass dieser Flieger mit 852 km/h unterwegs war. Bremswirkung des Windes nicht mit einberechnet. Die Erdkrümmung würde vielleicht auch noch eine Rolle spielen. Aber huch, man kann ja nicht auf alles Rücksicht nehmen! Das heisst also, ein Flugzeug des Typs Boeing 737-800 ist genau 1,12676 Minuten an meinem Himmel-Segment sichtbar. Das Wort «genau» ist natürlich auf Grund meiner vorangehenden Ungenauigkeiten sehr relativ, wie Albert einwenden würde. Korrekt. Aber kommt in etwa hin. Und da sage mal einer, alleine essen sei langweilig!

Aber eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben in Bezug auf Ehrgeiz. Über die Tatsache nämlich, dass ich nicht gemütlich schwimmen kann, dass ich es einfach nicht ertrage, von anderen Schwimmern überholt zu werden, dass ich dann alle Vorsätze von wegen «So, jetzt nimmst du es mal gemütlich Sevi!» innerhalb weniger Sekunden (vielleicht 1,12676 im Schnitt...) über Bord werfe und schwimme, als wäre ich in Peking in der Bahn neben Michael Phelps. Und mein Ehrgeiz beginnt im Schwimmbecken Früchte zu tragen. So bin ich mittlerweile tatsächlich schneller als Kinder (bis 14 Jahre), die meisten Pensionäre sowie Behinderte. Darüber hinaus auch deutlich schneller als die Neu-Schweizer mit ihrem sonderbaren Adria-Crawl-Stil und eigentlich auch schneller als ALLE Pensionäre. Wäre da nicht dieser eine Kerl: Ehemaliger Polizist und selbst dann schneller, wenn ich am Brust-Weltrekord zu kratzen scheine. Zumindest in meiner eigenen, persönlichen Einschätzung. Allerdings ist auch diese, ich gebe es zu Albert, ziemlich relativ.



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