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«Hätte ich doch!» – Einer dieser Sätze, die sich im Leben ansammeln wie der Staub auf einer schwarzen Stereoanlage oder wie der Abfall in den Strassen Neapels. Aber nein, König Silvio hat ja aufgeräumt, Neapel ist wieder sauber und eine Reise wert. «Hätte ich doch...» wird sich nun auch Romano sagen. Doch er hat nicht, also kam Silvio. Mal wieder. «Hätte ich doch...» sagt sich heute vielleicht auch unser Sämi. Hätte ich doch den Bundesrat nicht aus Versehen angelogen – so ganz unabsichtlich, so ganz nebenbei. «Hätte ich doch...» seufzte vielleicht auch Bill. Ja genau, Präsidenten-Bill aus Hope, Arkansas. Hätte ich doch noch ein paar weitere Male mit Monica, bevor mir Hillary auf die Schliche kam. Doch Bill hat nicht und Sämi hat nicht und auch wir tun diverse Male nicht, so dass es eben zu diesen Sätzen kommt: «Hätte ich doch!» Sie sind meistens etwas mühsam, diese Sätze. Man muss eingestehen, dass man nicht hat, als man gewollt hätte. Es gibt dabei natürlich ganz tragische und folgenschwere Beispiele – wohl in jedem Leben eines jeden Menschen. Aber ich schreibe keine Erfolgsromane und keine Oscar-prämierten Drehbücher, bloss diese niedliche Kolumne, also lassen wir mal das Tragische beiseite. Denn es gibt ja auch die ganz niedlichen «Hätte ich doch»-Episoden.

So ärgere ich mich bis heute – es sind immerhin 4 Jahre vergangen seither – dass ich nicht machte, als ich hätte tun können. Ja, hätte ich doch! Es war in Mexiko, im April 2004 in Oaxaca. Es war Ostern, alle Mexikaner würden verrückt spielen und würden sich an irgendwelche Kreuze nageln, was sich halt grad zum Drannageln eignen könnte und alle würden bluten und kreischen. So beschrieb es immerhin mein Reiseführer. Doch das stellte sich als heillos übertrieben raus. Genauso, wie «Spring Break» in Cancún in Wahrheit nicht so aussieht wie in den RTL 2-Reportagen. Einerseits schade, andererseits wäre das wohl ein guter Nährboden geworden für spätere «Hätte ich doch»-Sätze. Allerdings eher einzuordnen in die Kategorie «Folgenschwer». Doch zurück nach Oaxaca. Es war Ostern und ausser ein paar Mariachis kreischte niemand. Also entschied ich mich weiterzureisen. Nach Huautla de Jiménez. Klingt schön, ist auch schön. Zumindest wenn man blind ist und seinen Geruchsinn verloren hat. Auch auf YouTube sieht der Ort nicht sympathischer aus! Aber das wusste ich damals noch nicht, also wollte ich hin. So ging ich ein Busticket kaufen und jetzt kommt dieser Moment: Ich stand in der Ticketeria und ratterte mein Sätzchen runter, dass ich ein Ticket wolle für einen Bus zweiter Klasse (ist billiger, ist authentischer, ist alternativer, ist cooler, geht dir nach spätestens zwei Monaten brutal auf den Sack, aber bis dahin ist es cooler, alternativer und authentischer!) Dann fragte mich der Ticket-Verkäufer nach meinem Namen. Man wird immer nach dem Namen gefragt, das wirkt professionell und der Name steht dann auf dem Busbillett. Ich sagte also meinen Namen und der Mann hinter dem Schalter fackelte nicht lange rum, da er vermutlich irgendwie dachte: «Ui, das ist kein mexikanischer Name! Soll ich ihn buchstabieren lassen? Doch diese Drecks-Touris können ja eh nicht spanisch buchstabieren, also scheiss’ drauf!» Das Denken brachte er ganz schnell hinter sich und riss im nächsten Augenblick bereits seine Tastatur aus dem angestammten Plätzchen und hievte sie über seinen Desk: «Da, tipp selber!» Und jetzt kommt der Ursprung meiner späteren Reue: «Hätte ich doch!» Zugegeben, mein Leben hätte sich keinen Millimeter verschoben, ich hätte heute noch gelegentlich Heuschnupfen und eine permanente Abneigung gegen Bacardi-Cola. Und der Schmetterlingseffekt wäre genauso ausgeblieben. Es wäre nichts passiert, zugegeben! Aber dennoch, der Gedanke huschte mir in genau diesem Augenblick durch den Kopf, als ich kurz leicht verwirrt auf die Tastatur blickte. Wussten Sie übrigens, dass man den Affenschwanz auch mit Alt und 64 erzeugen kann? Aber ich glaube, das dachte ich in dem Moment nicht, kann es aber auch nicht gänzlich ausschliessen. Ich sah also den Gedanken vorbeihuschen, winkte ihm noch leicht amüsiert zu und tippte dann: S-e-v-e-r-i-n-Leertaste-M-u-e-r-i (denn es gibt ja kein «ü» in Mexiko. Dafür aber ein «ñ», doch das hilft einem herzlich wenig, wenn man Severin Müri heisst. Dann bekam ich das Ticket und stieg als ich in den Bus zweiter Klasse. Später warf ich das Ticket in Huautla in den Müll. Oder auf die Strasse, aber das war sowieso in etwa dasselbe. Doch wenn ich damals getan hätte, was ich mir kurzzeitig sogar überlegte zu tun, ja dann hätte das Ticket einen Ehrenplatz in meinem Fotoalbum gekriegt. Und jeder, der das Album später durchgeblättert hätte, der hätte kurz kichern, lächeln oder in irgendeiner Form grinsen müssen. Nur ganz kurz, für eine Verschiebung des Universums hätte es natürlich nicht gereicht, keine Frage. Es wäre bloss ein ganz kurzes, isoliertes Lächeln gewesen, dann hätte er weitergeblättert. Oder sie. Und dennoch, hätte ich damals, so gäbe es heute diesen lästigen Satz nicht – zumindest einen weniger in meiner reichen Sammlung. Ja, hätte ich doch!



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