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Gewisse Dinge lernt man nie. Mir geht es ein bisschen mit einer der eigentlich elementarsten Beschäftigungen des Lebens so: dem Schlafen! Ich hab’ nie verstanden, wie andere das machen. Sich hinlegen, die Augen schliessen, zack und weg! Bei mir dauert es Nacht für Nacht mindestens eineinhalb Stunden, bis ich schliesslich weggedriftet bin. Aber es bringt einem ja auch niemand bei, wie man schläft! Für alles andere gibt es Kurse, Prüfungen und Diplome, nur nicht fürs Schlafen. Ich vermute, es muss irgendwann im frühsten Kindesalter passiert sein, all die Umstellungen waren wohl einfach zu viel für mich: Für den Stuhlgang neu auf die Toilette und schlafen plötzlich nur noch nachts! Das erste schaffte ich mehr oder weniger bravourös, doch der Wechsel meiner Ruhezeiten offenbarte die Unmöglichkeit, mich mit dem gesunden, calvinistischen Tag-Nacht-Rhythmus zu arrangieren. Nur einmal gelang es mir, eine konstante Phase von immerhin einem halben Jahr aufrechtzuerhalten, während der ich innerhalb einer Viertelstunde einzuschlafen vermochte. Diese Meisterleistung hatte ich einem typisch amerikanischen Motivations-Video zu verdanken, welches angeblich so geheim sein sollte, wie es der Titel nahe legte. Eigentlich verfolgte mein daraus abgeleitetes und allabendlich rezitiertes Mantra andere Ziele, hatte aber immerhin den angenehmen Nebeneffekt, dass ich nach spätestens fünfzehn Minuten eingeschlafen war. Leider verblasste nach einem halben Jahr die Wirkung und so habe ich mich wieder zurückverwandelt in ein schlafloses, augengeringtes Nachtwesen. In all den Jahren habe ich aber festgestellt, dass man sofort einschläft, wenn man einfach nur nichts denkt. Es ist allerdings äusserst anstrengend, nichts zu denken. Oft schleicht sich nach kurzer Zeit doch wieder irgendein Gedanke ein. Daher ist es mir meistens zu mühsam, nichts zu denken, also starr’ ich lieber die Zimmerdecke an.

Gestern Nacht versuchte ich es nun mit Käpt’n Blaubär, dem Hörbuch von Walter Moers. Dieses brachte mir nämlich bei meinem ersten Versuch damit innert kürzester Zeit (sicher weniger als dreissig Minuten!) geruhsamen Schlaf, nachdem ich damals stundenlang wegen Bauchkrämpfen wach gelegen hatte. Bereits hatte ich begonnen, mir Vornamen (weibliche sowie männliche) zu überlegen, da ich allmählich an ein medizinisches Wunder und an meine Fähigkeit, unter meinem Bierbäuchlein Kinder auszubrüten, zu glauben begann. Doch gestern Nacht versagte auch der putzige Käpt’n Blaubär seinen Dienst, indem ich von anhaltenden Lachkrämpfen heimgesucht wurde. Was zwar durchaus Sinn und Zweck des Hörbuchs wäre, sabotierte in dem Moment meine Suche nach ein bisschen Schlaf. Als nächstes kramte ich meinen iPod hervor und spielte ein paar Runden Solitaire. Aus den paar wenigen Runden wurden ein paar viele und nach genau einer Stunde und achtzehn Minuten hatte ich das blöde Spiel gebodigt. Zufälligerweise fiel das Ende genau mit den letzten Tönen meiner Playlist «_good» zusammen. Mika verneint im betreffenden Song zwar die Möglichkeit eines Happy Ends, doch nach einer Stunde und achtzehn Minuten endlich eine Partie Solitaire zu Ende spielen zu können, kommt einem Happy End schon ziemlich nahe! Na gut, glücklich einzuschlafen innert fünf Minuten, käme diesem Ideal vielleicht gar noch näher! Dennoch ist das Ende des Spiels leicht enttäuschend. «Wir haben einen Gewinner!» steht da auf dem Display und das war’s. Das ist in etwa so, als würde man den New York Marathon gewinnen, doch keiner wartet im Ziel, um dir zuzujubeln. Das geht doch nicht! Auf unserm alten Compaq tanzten immerhin stundenlang die Jasskarten! Davon sind allerdings nur die ersten zehn Minuten tatsächlich bezeugt, schliesslich hat man selbst als Kind besseres zu tun, als den Jasskarten stundenlang beim Tanzen zuzuschauen. Leicht enttäuscht (aber dennoch zufrieden) drehte ich mich zur Seite und hatte nun endgültig Grosses vor: Ich würde jetzt einschlafen!

Denkste! Eine halbe Stunde später lag ich noch immer wach, der Wecker zeigte unterdessen gnadenlos 04:15 auf seinem giftgrünen Display! Und wenn Sie glauben, diese Kolumne sei im üblichen Umfang in Kürze zu Ende geschrieben, dann haben Sie sich genauso getäuscht, denn eine nie enden wollende, schlaflose Nacht kann man nur durch eine ebenso endlos lange Kolumne annähernd akkurat beschreiben! Also sagen Sie ihre Pläne für heute ab, aber subito, der Text geht gnadenlos weiter!

Gelegentlich sagt man mir, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen. «Sevi!», sagt man dann, «mach dir doch nicht immer so viele Gedanken!» Doch ich muss in diesem Zusammenhang anfügen, ich bin es einfach unglaublich geübt, mir so viele Gedanken zu machen. Ich glaube, ich habe nie eine andere Tätigkeit mit solcher Ausdauer, Konstanz und Inbrunst ausgeübt, wie das mir Gedanken Machen. Mit Handball hörte ich schon nach wenigen Trainings wieder auf, in der Tennishalle hielt ich es nicht viel länger aus, Tai Chi kenne ich nur noch dem Hörensagen nach, doch wenn ich in einer Disziplin Weltmeister werden könnte, dann im mir Gedanken Machen. Denn hier übe ich täglich mindestens eine Stunde! Vielleicht hätte ich es zum Soloflötisten gebracht, wenn ich früher ebenso ausdauernd auf meiner Blockflöte geübt hätte. Irgendwann bemerkte ich also – gefangen in meiner Gedankenwelt, das Tor zum Reich der Träume weiterhin versperrt – die zwar unsinnige, aber dennoch nicht minder interessante linguistische Nähe von Kofi Annan zu Coffee Anal. Dann fragte ich mich, ob solche Gedanken wohl als rassistisch, sexistisch oder beides eingestuft würden. Das führte mich zu M. Anal, eine angeblich real existierende Person in den USA, die ich mal im Internet aufgespürt hatte, als ich nach lustigen Nachnamen suchte. (Ausgangspunkt dieser Expedition war eine Sekretärin namens Vogler. Richtig lustig wird es zwar erst, wenn Herr Anal und Frau Vogler eine Ehe eingehen würden.) Seither bekomme ich stets eine Benachrichtigung, sobald Herr M. Anal irgendwelche Informationen an seinem digitalen Profil ändert, was er in regelmässigen Abständen tatsächlich tut. So überlegte ich mir im Anschluss daran, wie viele Kollegen ich habe, die bekennenderweise schwul sind. Die Liste ist recht kurz, ich kam auf zwei. Bei aber mindestens doppelt so vielen schwebt zumindest die Vermutung in der Luft. Dann fragte ich mich, ob Jamie Oliver vielleicht auch schwul sein könnte. Dann hätten er und Betty Bossi nämlich mindestens eine Gemeinsamkeit: Beide schlafen mit Männern! Natürlich war auch dieser Gedanke wiederum nicht minder unsinnig, da Betty Bossi gar nicht real existiert. Jamie Oliver seinerseits, so hirnte ich weiter, hat vermutlich nie Sex, ohne dabei nicht zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die auftretende Stoss-Energie zum Mörsern irgendwelcher Kräuter zweckzuentfremden. Dann betrachtete ich das Wort Mörser von allen Seiten und entfernte in Gedanken die beiden Rs, woraufhin ich ziemlich kindisch zu kichern begann. Schliesslich kam ich über Jamie Oliver auf meine Barçelona-Reise mit Tom (womit wir das homosexuelle Spektrum meiner Gedankenwelt endgültig verlassen haben) und fragte mich erneut, ob wir dort wohl tatsächlich mit dem echten John Malkovich gemütlich geplaudert haben in einem ebenso gemütlichen Restaurant im gemütlichen Jahr 1998. Ich war gerade dabei, in Gedanken eine Liste mit allen Filmen, in denen John Malkovich mitspielte, zu erstellen und bemerkte dadurch nicht, wie sich der Schlaf heimlich nun doch heranschlich und mich gerade in dem Moment, als ich bei Film Nummer 7 ½ angelangt war, zu Boden warf. Ich war zack und weg! Ein Moment der Stille. Dann: Halleluja! – natürlich in der Version des schwulen Rufus Wainwright.



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