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Seit gestern glaube ich ein bisschen besser zu verstehen, weshalb es Valentino und insbesondere Udo Walz zu einer gewissen Portion Ruhm gebracht haben und hie und da – der eine öfter, der andere immerhin zwischendurch mal für die Schweizer Illustrierte – über den roten Teppich stolzieren dürfen. Was wäre denn die Welt ohne Udo? Ein übles Gestrüpp, ein wirres Vogelnest, langweilige Mähnen und Strähnen. Doch Udo zaubert mit der Schere und schon türmen sich die Haare auf den Häuptern der Gottheiten zu Kunstwerken ein Stück näher dem Himmel entgegen. Er hat sie alle schon frisiert und als Beweis dafür lächelt er einem auf seiner Website von Fotos zusammen mit Paris, Sharon oder Goldie entgegen. Sein Lebenslauf bezeichnet ihn als Berliner Institution. Zürich hat immerhin Valentino und dieser verschafft uns täglich Gewissheit: Ja, die Solarien dieser Stadt laufen noch! Udo Walz dagegen posiert mit Föhn in Agenten-Pose, so dass er glatt als Bruder von Connery durchgehen würde.

Leider hat Aarau keinen Star-Figaro zu bieten, doch immerhin werden 49 Coiffeurgeschäfte im Telefonbuch aufgeführt. Darunter stechen so kreative Namen ins Auge wie Haarmonie, Hairxpress, Movinghair oder Beautique 2000! Mein Favorit bleibt aber Haarverwalter Hunziker. Denn der Hunziker stutzt nicht einfach den Wildwuchs und wirft ihn danach unbedacht weg. Nein, er verwaltet die Haare! Als Beitrag an die dritte Säule? Doch wie wählt man eigentlich seinen Coiffeur aus? Bei 49 Salons in der Stadt hätte man ein gutes Jahrzehnt, bis man alle durchgetestet hat. In meinem Fall war das dagegen ganz einfach: Mami nahm mich an der Hand und setzte mich auf den Stuhl von Sonja. Diese schnitt mir Jahre lang die Haare und dann wechselte ich zu Sandra. Sonja schmollte glaubs ein bisschen, aber man kann ja nicht gleich mit der ersten Frisörin alt werden. Ich bin aber bis heute in diesem Salon geblieben, wobei die Scheren-Akrobatinnen weniger Treue zeigten. Zuerst ging Sonja, dann Sandra. Natürlich kamen neue und diese wurden immer jünger. Ich dagegen immer älter, so dass wir uns irgendwann im selben Alter trafen. Damit begann die Zeit, in der ich mich permanent in meine Haartistinnen (bitte würdigen Sie die unglaubliche Kreativität hinter dieser Wortschöpfung!) verliebte. Doch in eine Frisörin (ist Coiffeuse eigentlich eine politisch korrekte Bezeichnung?) verliebt zu sein, ist eine eher unbefriedigende Angelegenheit. Man wartet zwischen jedem Treffen rund drei Monate und es quält einen dauernd der Verdacht, dass es da noch einen andern geben könnte. Da aber sowieso nie was draus wurde, schaffte ich es irgendwann, eine halbe Stunde auf dem Sessel zu sitzen, ohne mich in die Haarverwalterin hinter mir zu verlieben. Ich antwortete knapp auf ihre Bemerkungen übers Wetter, liess ihr meine alten Haare zurück und zeigte mich selbst ihren Shampoo einreibenden Händen gegenüber unbeeindruckt.

Doch gestern durchfuhr mich ein Blitz! Ich erkannte, da war eine wahre Meisterin ihres Fachs am Werk. Ein Talent, ein Rohdiamant! Diese Haar-Akrobatin brachte alle Voraussetzungen mit, einmal ein richtiger Udo Walz zu werden. Ihre Scheren frästen im Tiefflug über meine Kopfhaut hinweg wie eine Messerschmitt über die englische Küste. Opfer fielen dabei zu Hauf, gestutzt wurde alles, was länger als zwei Fingerbreit war. Verstecken war zwecklos, ihre Finger durchkämmten meine Haare wieder und immer wieder. Dabei schienen sie einer streng einstudierten Choreografie zu folgen. Das Tempo rasant! Das war Tango, Techno und Epilepsie in einem. Es gab kein Innehalten, kein Messen der Haarlänge, kein mühsames Zusammenklappen meiner Ohren und keinen aufgesetzten Smalltalk. Ich war der Marmor, sie der Michelangelo. Ich der englische Buchsstrauch, sie der Edward. Und ihre Scherenhände ruhten nicht eher, als dass sie scheinbar autonom ihr Werk vollendet hatten. Meine Frisur war danach zwar nicht besser oder schlechter als nach dem ersten Schnitt von Sonja. Gleichwohl wurde ich zurückgelassen im Wissen, dass ich eben Zeuge hoher Handwerkskunst geworden war. Selbst eine Stradivari könnte sich nach dem Fallen des Vorhangs nicht besser fühlen!

Und so frage ich mich, ob der Mangel an Star-Figaros in Aarau nicht viel eher im generellen Mangel an hier ansässigen Stars gründet. Oder wo geht wohl Baschi zum Coiffeur?



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