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Achtung, fertig, los: «R. könnte nun argumentieren, dass die Grundlage des ‹ästhetischen› Erlebens die Vorstellung eines Körpergefühls sei, die ein Erlebnis ist, dem jede fremdspezifische, auf ein ertastetes Objekt zurückgehende Wahrnehmungskomponente fehle, dass also, sofern man überhaupt von einem ‹ästhetischen› Erlebnis sprechen wolle, ein rein ‹propriozeptiv-ästhetisches› und kein ‹haptisch-ästhetisches› Erlebnis vorliege.»

Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde diesen Satz wunderschön! Denn man kann ihn wunderbar auf der Zunge zergehen lassen. Ja, man muss ihn nur ganz langsam (etwa so langsam wie ein Zug fährt, wenn er das Passieren eines ihm entgegenkommenden Zuges abwarten muss) lesen – am besten laut. Dadurch imponiert man nicht nur den Nachbarn, sondern eben: Dieser Satz, dieser Erguss höchst-linguistischer Erhabenheit, diese in Buchstaben gedruckte Grazie zergeht langsam und genüsslich auf der Zunge. Wie ein Erdbeer-Cornet aus der Lusso-Gefriertheke, wie ein Zandernfilet von Ivo Adam oder wie ein Tiki-Brausebonbon in der Badi. Schwieriger wird es, wenn der oben zitierte Satz noch der kürzeste und präziseste in einer 400-seitigen Ansammlung selbst-beweihrauchender Monster-Sätze ist. «Denk an den Gubrist im Feierabendverkehr!» muss ich mir dann immer wieder selber einhauchen, damit ich nicht geneigt bin, in einem Affentempo (etwa so wie der TGV zwischen Strassburg und Paris) über die Sätze und Abschnitte zu rasen. Ohne wirklich etwas vom Gelesenen aufzunehmen – ausser immerhin einer Portion guten Gewissens, dass ich mich zumindest bemühe und nicht auf YouTube herum schwadroniere. Doch laufe ich dann kurz von den Büchern weg – vielleicht um den Namen der Autorin in wildeste Flüche zu packen – so passiert es mir immer wieder, dass ich seitenlang munter weiter lese, nachdem es mir endlich gelang, mich wieder hinter die Bücher zu lotsen um dann festzustellen, dass ich eben diese Seiten bereits einmal gelesen habe. Doch auch beim zweiten Durchgang verstehe ich nur Bahnhof, so dass ich unterdessen sehr viel von Bahnhöfen verstehe und mich vielleicht bald bei der SBB bewerben sollte.

Als würde man Saatgut auf ein erodiertes Feld streuen. Woraus nun meine Diplomarbeit erblühen müsste. Eine Pflanze so hoch wie der Turm von Babylon mit Blüten so prächtig wie die Sixtinische Kapelle! Und dieses Kunstwerk: Bitte schnell! Es ist immer wieder ein elender Frust, sich Zeitrelationen zu vergegenwärtigen. So kennt man die Demokratie seit 2'500 Jahren, das Frauenstimmrecht in Appenzell Innerrhoden allerdings erst seit 18 Jahren. So gibt es schlechte Musik, seit es Barden gibt, die Firma Ohropax aber erst seit 101 Jahren. Und so begann mein Diplomsemester vor 95 Tagen mit der Begrüssung des Direktors. Doch heute, 15 Tage vor Abgabe, ist von meiner Arbeit noch immer nicht mehr zu sehen als von der Stadt Rom am Tag der Geburt von Remus und Romulus. Man könnte jetzt in Hysterie verfallen. Wie ein 50er-Jahre-Groupie an einem Elvis-Konzert. Doch das ist ein schlechtes Rezept, alles Kreischen hilft nicht weiter! Erlösung verspricht einzig das Töggel-Geräusch meiner Laptop-Tastatur. Nur noch 40'000 Zeichen und die Euro kann beginnen!



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